Die Bundestagswahl 2025 in Deutschland rückt näher – doch wie stark beeinflussen soziale Medien wie die chinesische Kurzvideo-Plattform TikTok die politische Meinungsbildung und Wahlentscheidung? In den letzten Jahren hat der Einfluss der sozialen Plattformen zunehmend an Bedeutung gewonnen, nicht nur als Kommunikationskanäle, sondern auch als treibende Kräfte hinter irreführender und falscher Berichterstattung, populistischen Parolen und Hetze.
TikTok als politische Suchmaschine der jungen Generation
Laut der ARD/ZDF-Medienstudie 2024 nutzen inzwischen 38 Prozent der 14- bis 29-Jährigen TikTok täglich. Damit rangiert das soziale Netzwerk in dieser Altersgruppe auf Platz drei – hinter Instagram und Snapchat. Auch als Suchmaschine spielt die Plattform eine immer größere Rolle. Angesichts dieser Entwicklung ist es kaum überraschend, dass der Wahlkampf auch auf TikTok ausgetragen wird – nicht selten mit gezielter Desinformation. Doch reicht das aus, um Einfluss auf die politische Zukunft Deutschlands zu nehmen?
Im Januar 2025 verbreitete sich beispielsweise auf TikTok ein Video, das eine angebliche Gruppenvergewaltigung durch Afghanen in Frankfurt zeigen sollte. Es wurde über 800.000-mal angesehen. Dass die Geschichte in dieser Form frei erfunden war, wussten jedoch viele nicht. Was bleibt ist die Behauptung in den Köpfen derjenigen, die das Video gesehen haben. Allein auf TikTok sammelte es rund 4.000 Kommentare und erhielt etwa 40.000 Likes, bevor es schließlich gelöscht wurde. Diese rasante Verbreitung verdeutlicht jedoch, wie wirksam Falschinformationen und Desinformationen, besonders auf TikTok, sein können.
Denn Fakt ist: Informationen wirken kumulativ – sie sammeln sich über die Zeit an und prägen unsere Meinungen. Das gilt ebenso für soziale Medien: Wer sich über einen längeren Zeitraum in bestimmten digitalen Räumen bewegt, wird zunehmend von den dort vorherrschenden Inhalten beeinflusst und formt seine Ansichten entsprechend.
Ein Blick nach Österreich: Social-Media-Wahlkampf mit Folgen
Das zeigt sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, wo TikTok und andere soziale Medien eine zentrale Rolle im Wahlkampf spielten. Bei der Nationalratswahl im vergangenen September wurde die rechtspopulistische FPÖ mit rund 29 Prozent der Stimmen stärkste Kraft – ein Rekordergebnis. Die christlich-konservative ÖVP erreichte 26 Prozent, während die Sozialdemokraten mit 21 Prozent ihr bisher schwächstes Ergebnis erzielten.
Besonders bemerkenswert: Auch junge Wähler:innen stimmten auffallend häufig für rechte Parteien. 27 Prozent der unter 35-Jährigen wählten die FPÖ und Kanzlerkandidat Herbert Kickl, nur 20 Prozent entschieden sich für die ÖVP und gerade einmal 18 Prozent für die SPÖ. Der Einfluss von TikTok, Social-Media-Kampagnen und digitalen Erzählungen auf das Wahlverhalten ist also nicht zu unterschätzen.

Laut Expertinnen beeinflussten verschiedene Faktoren die Wahlentscheidung junger Menschen in Österreich. Besonders die Themen Zuwanderung und Teuerung standen bei der Wahl 2024 im Fokus, während Klimaschutz kaum eine Rolle spielte. Die Pandemie hinterließ tiefe Spuren: Viele Teenager verloren soziale Kontakte und ihre gewohnte Alltagsstruktur. Stattdessen verbrachte die GenX mehr Zeit auf sozialen Medien wie TikTok. Die daraus resultierende Isolation führte zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit junger Menschen, deren Auswirkungen bis heute nachwirken.
Viele rechte Politiker, wie der Vorsitzende der FPÖ Herbert Kickl, nutzen Plattformen wie TikTok längst für ihre Zwecke. Mit kurzen Videos, packender Musik und Jugendsprache erreicht Kickl junge Menschen und bietet scheinbar einfache Antworten auf komplexe Fragen.
Ein ähnliches Muster zeigte sich bei den Landtagswahlen 2024 in Deutschland, wo die AfD bei jungen Wähler:innen großen Zuspruch erhielt. In Sachsen entschieden sich 34,5 % der unter 18-Jährigen für die AfD, in Thüringen sogar 37,4 %.
Wahlerfolge durch Social Media: AfD und Linke auf TikTok
Laut einer Auswertung der Bundeswehr Universität München für den Zeitraum November 2024 bis Februar 2025 sind die AfD und die Linke besonders präsent und erfolgreich auf TikTok. Knapp 120 Millionen, und damit rund 26 Prozent aller Aufrufe, entfallen auf Accounts der AfD. Knapp 100 Millionen Views gehen an die Linke. Gemeinsam machen die beiden Parteien fast die Hälfte der Parteien-Views auf TikTok unter sich aus. Weiter hinten auf der Liste folgen zum aktuellen Stand die FDP (mit 64 Millionen), die Union (51), die Grünen (45), die SPD (35) und das BSW (29). Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der „Like-Rate“ der geteilten Beiträge: Die AfD und die Linke liegen auch hier mit deutlichem Vorsprung vor der politischen Konkurrenz.


Junge Wähler:innen sind eine vulnerable Gruppe in jeder Gesellschaft, weil sie oftmals noch keine fixierten Meinungen haben, sondern diese erst bilden müssen. Sie sind daher oft Wechselwähler. Im Interview mit FM4 betont Sozialforscher Christoph Hofinger: „Was wir generell sehen in Europa, egal ob in Österreich oder Deutschland, dass junge Wählerinnen und Wähler noch recht flexibel sind, also sie bauen weniger so einen Stammwähler:innen-Verhältnis zu den Parteien auf. Und es kann dann durchaus sein, dass sie mal sehr stark für Rechts-Außen-Parteien wählen, aber das ist auch nicht etwas, worauf Parteien dann auf Jahre und Jahrzehnte bauen können, weil diese Wählerschicht, also die jungen Wählerinnen und Wähler, sehr flexibel sind und auch schnell wieder mal wechseln.“
Die Forschung zeigt auch: Generell wählen viele Menschen, die mit der Politik unzufrieden sind, rechts- oder linksextreme Parteien. Statistiken belegen, dass unter 30-Jährige pessimistisch in die Zukunft blicken und immer unzufriedener mit ihrem Leben sind als ihre älteren Mitmenschen
Einflussnahme durch Russland
Diese Unsicherheit macht junge Menschen besonders empfänglich für digitale Manipulation und gezielte Einflussnahme. Genau das nutzen Akteure wie Russland gezielt aus. Simone Rafael, Co-Projektleiterin des Monitorings zur Bundestagswahl beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) setzt sich intensiv mit digitalen Technologien und Desinformation auseinander. Rafael erklärt: „Wenn es um ausländische Einflussnahme geht, beobachten wir russische Kampagnen wie „Doppelgänger“.
Nach eine repräsentativen Umfrage des Instituts Allensbach glauben nur 66 Prozent der befragten TikTok-Nutzer, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Bei den unter 29-Jährigen stimmten knapp 70 Prozent dieser Aussage zu, während in der Gesamtbevölkerung 78 Prozent davon überzeugt sind.
Russische Einflusskampagnen zielen darauf ab, Unruhe zu stiften und das demokratische System zu destabilisieren. Gleichzeitig verfolgen rechte Akteure eine doppelte Strategie: Sie greifen die Demokratie als Ganzes an, während sie gleichzeitig deren Strukturen nutzen, um rechtsextreme Politik voranzutreiben. Dabei wird die Unterstützung der AfD als ein Weg gesehen, um beide Ziele zu erreichen. Ein zentrales Ziel solcher Kampagnen ist die Gruppe der Unentschlossenen. Dabei könnten ihr verdeckte Einflusskampagnen aus Russland zugutekommen, die CeMAS vor den Wahlen in Deutschland beobachtet. Diese zielen darauf ab, wirtschaftliche Ängste zu schüren, die AfD und das BSW zu stärken und etablierte Parteien zu schwächen. Besonders im Fokus stehen derzeit Friedrich Merz und die CDU, doch auch die Grünen und die SPD sind weiterhin Zielscheiben russischer Desinformation.
Fehlende Moderation und Regulierung
Kommunikationsexperten warnen davor, dass in vielen Plattformen wenig oder gar nicht moderiert wird und sich dadurch Desinformationen besonders schnell verbreiten. Laut CeMAS ist vor allem auf X und Telegram eine hohe Reichweite von Desinformation, aber auch auf YouTube und TikTok. Gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl warnen EU-Vertreter vor den Risiken, die von Online-Plattformen wie X, betrieben von Elon Musk. Vertreter des EU-Parlaments waren, dass durch die Empfehlungsmechanismen auf X Nutzer offensichtlich gezielt mit rechtsextremen Inhalten konfrontiert werden.
In Hessen spielt insbesondere Telegram eine große Rolle. Viele bundespolitische Themen finden ihren Weg in hessische Gruppen und Kanäle, etwa Diskussionen über TV-Auftritte von Alice Weidel. Forderungen nach Wahlbeobachtung werden auf lokaler Ebene verstärkt. Zudem werden auf Telegram häufig nicht belegte Wahlprognosen geteilt, in denen die AfD vorn liege.
Medienkompetenz als Schlüssel zur Demokratie
Die Erkennung von Desinformation verweist auf ein grundlegenderes Problem: die Medienkompetenz. Laut einer Analyse der neuesten Pisa-Studie liegt diese bei Jugendlichen in Deutschland lediglich im unteren Mittelfeld. Viele junge Menschen können nur schwer zwischen seriösen Nachrichten und manipulativen Inhalten unterscheiden. Sie sind anfälliger für Fehlinformationen. Gerade auf TikTok spielt der Algorithmus eine entscheidende Rolle. Er verstärkt Inhalte, die starke Emotionen hervorrufen – Wut, Angst, Empörung. Genau diese Mechanismen machen es einfach, Narrative gezielt zu platzieren und Meinungen zu beeinflussen. TikTok beweist, dass Desinformationen oft erfolgreicher sind als faktenbasierte Inhalte: Sie werden häufiger geteilt, kommentiert und geliked.
Gleichzeitig kursieren weiterhin prorussische Narrative auf der Plattform, die von Bots, gekauften Influencer:innen oder manipulierten Kommentarsektionen verstärkt werden. Solche Strategien sind kein Zufall – sie haben ein klares Ziel: Zweifel säen, Gesellschaften spalten und Demokratien destabilisieren.
In Deutschland wird das Thema Medienkompetenz zwar zunehmend diskutiert, aber reicht das? Denn solange Fake News schneller verbreitet werden als Fakten, bleibt die Frage: Wie können Demokratien ihre Bürger:innen besser vor gezielter Desinformation schützen? Diese Frage wird besonders mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 relevant, bei der gezielte digitale Kampagnen eine entscheidende Rolle spielen könnten – und damit möglicherweise auch das Wahlergebnis beeinflussen.
Quellen: https://fm4.orf.at/stories/3043867/
https://www.ard-zdf-medienstudie.de/
https://cemas.io/publikationen/fortsetzung-folgt-doppelgaenger/
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/elon-musk-x-eu-100.html
https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/einfluss-social-media-wahlkampf-100.html